Life Cycle Assessment (LCA) oder Product Carbon Footprint (PCF) als Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten

4. April 2025
Wissen
Was ist das Life Cycle Assessment (LCA)?
Für viele produzierende Unternehmen steht die Nachhaltigkeitsbewertung Ihrer Produkte in den nächsten Jahren auf hoher Priorität. Sie beeinflusst die Unternehmensstrategie sowie ökonomische und wirtschaftliche Entscheidungen. Nicht nur für die Berechnung des Scope 3 für den unternehmensspezifischen Fußabdrucks, sondern auch für die Vorbereitung auf den Digitalen Produktpass ist die Bewertung auf Produktebene wichtig. Dennoch stehen viele Unternehmen, wenn es konkret wird, immer wieder vor der Frage, welche Bewertungsmethode ist für meine Produkte die richtige?
Das Life Cycle Assessment (LCA), auch bekannt unter dem Begriff „Ökobilanz“ ist eine Methode zur systematischen Erfassung der ökologischen Nachhaltigkeit eines Produkts über den gesamten Lebenszyklus. Ein LCA soll die Auswirkungen eines Produkts auf die Umwelt offenlegen und bietet dahingehend eine Grundlage zur Optimierung bestehender Prozesse. Allerdings ist die LCA oft recht komplex und schwer zu fassen, insbesondere für Unternehmen, die neu in der Materie sind.
Welche Schritte umfasst das LCA?
Die Methode des LCA wird in der ISO 14040/44 definiert und folgt einem bestimmten iterativen Ablauf, der in der nachfolgenden Abbildung dargestellt wird.
Abbildung 1: Prozess des Life Cycle Assessment (LCA)
Im ersten Schritt werden Ziel und Untersuchungsrahmen des LCA festgelegt. Vorab zu definierende Elemente des Untersuchungsrahmens sind u.a.
- das zu betrachtende Produktsystem,
- die funktionelle Einheit,
- die Systemgrenzen,
- die Wirkungskategorien.
Das Produktsystem definiert das untersuchte Produkt und die darin involvierten Prozesse, wohingegen die funktionelle Einheit den quantifizierten Nutzen des Produktsystems für die Verwendung darstellt. Alle Energie- und Materialflüsse im Produktsystem werden auf die funktionelle Einheit bezogen. Die Systemgrenzen repräsentieren die betrachteten Lebenszyklusphasen des Produkts. Bei einer vollständigen LCA werden alle Lebenszyklusphasen berücksichtigt. Bei einem partiellen LCA, das nur einzelne Lebenszyklusphasen berücksichtigt, wird zudem nicht von der funktionellen Einheit gesprochen, sondern von der deklarierten Einheit.
Abbildung 2: Systemgrenzen beim LCA
Eine Systemgrenze um die Produktionsphase wird als Gate-to-gate bezeichnet. Hier werden lediglich die Prozesse innerhalb der eigenen Produktion betrachtet. Bei der Cradle-to-gate-Betrachtung wird sowohl die Rohstoffgewinnung und Vorverarbeitung als auch die Produktion berücksichtigt. Eine Cradle-to-grave-Betrachtung berücksichtigt alle Lebenszyklusphasen bis zum End-of-Life des Produkts.
Im zweiten Schritt des Vorgehens nach ISO 14040/44 wird die Sachbilanz erstellt. Diese beinhaltet ein Prozessfließbild der untersuchten Prozesse über die Lebenszyklusphasen mit den jeweiligen Energie- und Materialflüssen. In diesem Schritt findet also die Datenerhebung statt und es müssen Aktivitätsdaten (In- und Output eines Prozesses mit berechneten, gemessenen oder modellierten Daten) ermittelt werden. So kann man z.B. einem gasbetriebenen Härteofen zum Härten des Produkts oder einer seiner Komponenten einen Gasverbrauch z.B. in kWh zuordnen (Aktivitätsdaten). Wurden in der Sachbilanz die jeweiligen Aktivitätsdaten ermittelt, stellt sich nun die Frage nach der Bewertung der Daten bzgl. der Nachhaltigkeit.
Die Bewertung findet im dritten Schritt, der Wirkungsabschätzung statt. In der Wirkungsabschätzung werden die Aktivitätsdaten in die ausgewählten Wirkungsindikatoren übersetzt. Die 25 Wirkungsindikatoren selbst können nochmals in die Themen „Umweltauswirkungen“, „Ressourceneinsatz“ und „Outputflüsse und Abfallkategorien“ eingeteilt werden.
So enthalten z.B. die „Umweltauswirkungen“ die Wirkungsindikatoren
- Globales Erwärmungspotenzial (GWP)
- Abbaupotenzial stratosphärischer Ozonschicht (ODP)
- Versauerungspotenzial von Boden und Wasser (AP)
- Eutrophierungspotenzial (EP)
- Potenzial für die Verknappung von abiotischen Ressourcen – nicht fossil (ADPE)
- Potenzial für die Verknappung abiotischer Ressourcen – fossil (ADPF)
Im letzten Schritt der Auswertung werden z.B. Stellhebel zur Optimierung identifiziert und die Auswirkungen durch Anpassungen in den jeweiligen Schritten sichtbar gemacht. Es ist zu beachten, dass die Schritte teilweise auch parallel ablaufen und iterativ sind.
Life Cycle Assessment (LCA) als Goldstandard der Produktbewertung
Das Life Cycle Assessment ist der Goldstandard der Produktbewertung – keine Frage. Allerdings haben sich bisher einige Alternativen oder Teilbetrachtungen der LCA in der Industrie durchgesetzt. Der produktspezifische Fußabdruck (Product Carbon Footprint – PCF) ist eine Nachhaltigkeitsbewertung eines Produkts und zielt auf die Bewertung der Wirkungskategorie Klimawandel mit dem dazugehörigen Wirkungsindikator des Globalen Erwärmungspotenzial (GWP) eines Produkts ab. Der GWP-Wert setzt sich aus den fossilen und biogenen Emissionen, den Emissionen durch Landnutzungsänderungen und dem gespeicherten Kohlenstoff zusammen.
Auch der PCF kann sowohl über einzelne als auch über alle Lebenszyklusphasen berechnet werden. Das Berechnungsvorgehen ist also gleich zum LCA, lediglich die Anzahl der Wirkungskategorien sind unterschiedlich. Bei der Auswertung des PCF können sehr schnell Stellhebel zur Optimierung identifiziert werden. Dies resultiert durch die direkte Verknüpfung der betrachteten Treibhausgase mit den Materialemissionen, den Transportemissionen oder den eigenen Produktionsemissionen. Möchte ich z.B. die Transportemissionen reduzieren, wähle ich einen Lieferanten, der eine kürzere Lieferstrecke vorweisen kann oder ein emissionsärmeres Verkehrsmittel. Möchte ich weniger Emissionen in der Produktion emittieren, versuche ich z.B. den Strom- und Gasbedarf der jeweiligen Herstellungsschritte zu reduzieren. Das ist für viele Verantwortliche aus den Bereichen Qualitäts-, Energiemanagement oder Produktentwicklung nachvollziehbar.
Doch wie sieht es bei den weiteren Wirkungsindikatoren einer LCA aus? Wie reduziere ich das Abbaupotenzial der stratosphärischen Ozonschicht oder das Verknappungspotenzial abiotischer Ressourcen? Hier ist in den meisten Fällen das Wissen in der Praxis nicht vorhanden.
LCA und die gesetzlichen Richtlinien
Mit dem Aufkommen von Regularien, wie z.B. dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), der Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichtserstattung (CSRD) oder der Ökodesign-Verordnung (ESPR) müssen sich Unternehmen immer stärker mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Allerdings sind weit weniger Expertinnen und Experten für diese Themen in den Unternehmen oder auch auf dem Arbeitsmarkt verfügbar. Daher werden die Aufgaben zur Nachhaltigkeitsbewertung meist an Personen zusätzlich vergeben, die im Bereich Qualitäts-, Energiemanagement, Produktentwicklung oder auch Controlling verankert sind. Vor dem Hintergrund stellt sich die Frage, wie kann die Nachhaltigkeitsbewertung von Produkten sinnvoll im ersten Schritt bei den Unternehmen integriert werden?
Der PCF als Startpunkt auf dem Weg zum Goldstandard
Durch unsere Erfahrungen im Bereich Product Carbon Footprint können wir mit Gewissheit sagen, dass dieser selten von heute auf morgen erstellt ist. Es ist ein Prozess, der bei den Unternehmen Schritt für Schritt aufgebaut werden muss. Hier fehlen teilweise noch Daten von Lieferanten und teilweise fehlen auch eigene Daten, da diese zuvor in keinem bestehenden Use Case benötigt wurden.
Für fehlende Lieferantendaten können zeitweise industrielle Durchschnittswerte (Sekundärdaten) aus Datenbanken genutzt werden. Jedoch ist hierbei darauf zu achten, dass diese kontinuierlich durch Primärdaten ersetzt werden, um auch tatsächlich den CO2-Fußabdruck des Produkts abzubilden. Ansonsten wächst die Gefahr, dass die Berechnung komplett auf Basis von Datenbankwerten abgebildet wird und Primärdaten somit keine Anwendung finden. Man hätte dann nicht den CO2-Fußabdruck des eigenen Produkts, sondern eines industriellen Durchschnittsprodukts. Überträgt man diese Problemstellung auf das Life Cycle Assessment (LCA), stellt sich schnell die Frage, wo die Daten für die weiteren Wirkungskategorien stammen sollen? Auch hier wird oft auf die Datenbanken verwiesen. Insbesondere wenn das LCA über den gesamten Lebenszyklus durchgeführt wird, was meistens der Fall ist, werden die Lebenszyklusphase der Nutzung und die End-of-Life-Phase mit Schätzwerten und Datenbankwerten befüllt.
Zurück bleibt dann meist eine Bewertung, die nur wenig mit dem eigentlichen Produkt zu tun hat. Kurz gesagt sind viele Verantwortliche schon mit der Datenbeschaffung beim PCF stark gefordert. Wie soll basierend darauf die Datenbeschaffung für ein LCA umgesetzt werden? Wie können die Verantwortlichen gleichzeitig alle Größen sinnvoll interpretieren und steuern?
Die Brücke zwischen Scope 3 und PCF
Dem produktspezifischen CO2-Fußabdruck wird oft nachgesagt, dass ein „Scheuklappenblick“ auf den Klimawandel die restlichen planetaren Grenzen vernachlässigt. Dadurch wird eine eine Produktbewertung nur unzureichend ermöglicht. Die flächendeckende und vor allem kurzfristige Umsetzung des LCA ist allerdings genauso mit Problemen behaftet. Aus unserer Sicht muss der produktspezifische CO2-Fußabdruck ein Startpunkt für die Industrie sein. So können sich Unternehmen zukünftig dem Life Cycle Assessment (LCA) nähern. Allerdings muss dies mit etablierten Prozessen und sinnvollen Primärdaten angegangen werden.
Zudem hat der PCF einige Schnittstellen mit dem unternehmensspezifischen Fußabdruck der im Rahmen der CSRD/VSME-Richtlinie erforderlich ist. Hierbei müssen für den berüchtigten Scope 3 bis zu 15 verschiedene Emissionskategorien bemessen werden. Darunter fallen die eingekauften Materialien, der vorgelagerte Transport, der nachgelagerte Transport, der Gebrauch verkaufter Produkte und die Entsorgung verkaufter Produkte. Bei entsprechender Datenaufbereitung ist es allerdings möglich durch die Berechnung des PCF einen Großteil der Unterkategorien des Scope 3 abzudecken. Somit wird der Berechnungsaufwand deutlich zu reduziert.
Abbildung 3: Unterkategorien des Scope 3 und überlappende Inhalte mit dem Product Carbon Footprint
Die zukünftige Bedeutung von LCA im Kontext des Digitalen Produktpass
Und nicht nur beim unternehmensspezifischen CO2-Fußabdruck (Corporate Carbon Footprint – CCF) existieren Schnittstellen zum Product Carbon Footprint. Auch innerhalb der European Sustainable Product Regulation (ESPR) wird mit dem Digitalen Produktpass eine Anwendung gefordert, die es Kunden ermöglicht Nachhaltigkeitsinformationen eines Produkts mit geringem Aufwand einzusehen. Die verschiedenen Kategorien an Nachhaltigkeitsinformationen sind noch nicht final vorgegeben und werden sich je nach Produktart unterscheiden. Weitgehend sicher ist jedoch, dass der Product Carbon Footprint oder der Environmental Footprint über den Lebenszyklus eines Produktes berichtet werden müssen. Betrachtet man sich das Beispiel einer Waschmaschine wird klar, dass jedes Bauteil der Waschmaschine einen CO2-Fußabdruck benötigt, um letztendlich den PCF der Waschmaschine errechnen zu können.
Abbildung 4: Branchen des DPP und Systematik von Product Carbon Footprint im DPP
LCA oder PCF? Unser Fazit
Das Life Cycle Assessment (LCA) ist also das Nonplusultra in der Nachhaltigkeitsbewertung, hat allerdings auch seine Probleme in der Umsetzung. Unternehmen tun gut daran sich Schritt für Schritt dem Thema zu nähern und mit dem Product Carbon Footprint zu beginnen. Strategisch kann die Wahl der Wirkungskategorien dann erweitert werden. Rom wurde schließlich auch nicht an einem Tag erbaut. Wichtig ist, DASS Unternehmen beginnen Ihre Produkte entsprechend zu bewerten, denn die Nachweispflicht kommt ab 2027 mit dem Digitalen Produktpass und wird sich bis 2030 in ziemlich allen Branchen wiederfinden.